Zölibat und Diskriminierung – Blutspende

Vor einigen Wochen habe ich mich mit meinem Bruder unterhalten und nebenbei erwähnte er beiläufig, dass er Blut gespendet hatte. Als ich ihm eröffnet habe, dass es mir nicht erlaubt ist, Blut zu spenden, wollte er mir partout nicht glauben und ich musste ihm erst die Gesetzestexte raussuchen.

Blood Donation

Foto: Peter Almay CC BY-NC-SA 2.0

Scheinbar ist das vielen gar nicht bewusst: Schwuler Sex bedeutet automatisch, nicht mehr Blut spenden zu dürfen. In Deutschland, Österreich und der Schweiz bedeutet theoretisch selbst einmaliger sexueller Kontakt mit einem anderen Mann, dass lebenslang eine Blutspende nicht mehr erlaubt ist.

Das Transfusionsgesetz (TFG) und die dazugehörenden Richtlinien der Bundesärztekammer sind auch sehr klar formuliert:

Blutspende-Ausschluss von Männern, die Sexualverkehr mit Männern haben (MSM)
„Personen, deren Sexualverhalten oder Lebensumstände ein gegenüber der Allgemeinbevölkerung deutlich erhöhtes Übertragungsrisiko für durch Blut übertragbare schwere Infektionskrankheiten, wie HBV, HCV oder HIV bergen.
Fußnote:
z. B. homo- und bisexuelle Männer, Drogenabhängige, männliche und weibliche Prostituierte, Häftlinge

Damit wird jeder schwule, bi- und pansexuelle Mann unter den Generalverdacht gestellt, ein Seuchenvektor zu sein. Schlimmer noch: Die ganze Regelung unterstellt schlicht all diesen Männern Hochrisiko-Sex zu haben, vergleichbar mit dem von Prostituierten.
Nach dem Gesetz ist jeder Mann, der Männer liebt, ein promiskuitives Flittchen und automatisches Risiko für den Rest der Gesellschaft. Es ist komplett irrelevant für diese Richtlinien, ob die Männer in monogamen Beziehungen leben, Safe-Sex praktizieren oder vielleicht schon seit Jahren keinen männlichen Sexpartner mehr hatten.
Klar, diese ganzen Gesetze stammen aus den 80ern, als HIV-Infektionen schwierig zu entdecken waren und die Tests langwierig und komplex. Homosexuelle Männer wurden, nicht zu unrecht, in die Risikogruppen eingeteilt, denn ohne zuverlässige Tests war es sinnvoller auf Verdacht Spender auszuschließen, als ein unnötiges Risiko einzugehen.
Aber moderne Tests sind schnell, verlässlich und werden ohnehin bei jeder abgegeben Blutspende durchgeführt. Es wäre sinnvoller potenzielle Spender nach ihrem Verhalten zu befragen, statt nach ihrer sexuellen Orientierung. Tatsächlich ist das eine Praxis die in vielen Ländern bereits angewandt wird, zum Beispiel Italien, Spanien, Portugal, Polen – sogar Russland. Dort wird jeder Spender, egal welchen Geschlechts, nach Risikofaktoren befragt: Drogenkonsum, promiskuitives Sexualverhalten, Safe-Sex Praktiken, etc.
Nach einer Klage aus Frankreich, wo dieselben restriktiven Regeln gelten, kritisierte der Europäische Gerichtshof letztes Jahr die diskriminierenden Richtlinien in weiten Teilen Europas. Also wird in den betroffenen Staaten, wie schon seit Jahren, über Alternativen diskutiert. Und vermutlich werden sie sich an den Regeln in Großbritannien, Kanada, Australien und vielen weiteren Ländern, orientieren: Dort werden alle Männer zur Spende zugelassen, aber nur wenn sie mindestens ein Jahr keinen sexuellen Kontakt zu einem anderen Mann hatten.
Das ist eine so weltfremde und sinnlose Regelung, dass man das Verbot auch direkt aufrechterhalten könnte. Mal ernsthaft: Wer ist so selbstlos und tugendhaft, dass er freiwillig zölibatär lebt, nur um dann Blut spenden zu dürfen? Die FDA in den USA hat vor Kurzem erst diese neues Regelung verkündet und sofort protestierten LGBTQ-Verbände. Eine besonders humorvolle Aktion der Organisationen GLAAD und GMHC ist das Video »Celibacy Challenge«:

Zumindest ist eine Lockerung der Regeln ein Schritt in die richtige Richtung. In Großbritannien wird auch bereits diskutiert, die Sperrfrist endgültig abzuschaffen. Nachdem Australien – eines der Länder, das am schnellsten und effizientesten auf die HIV-Krise reagiert hatte – die lebenslange Sperre auf ein Jahr herabgesetzt hatte vor über einem Jahrzehnt, haben sich keine statistisch signifikanten Veränderungen an der Sicherheit von Blutkonserven gezeigt. Und auch die Zahl der Infektionsfälle durch Transfusionen in Italien, Portugal oder Spanien sieht nicht anders aus als bei uns – obwohl jeder dort spenden darf.
Und dann sind da noch weitere Fragen, die einem bei kurzem Nachdenken einfallen: Sind nicht Heterosexuelle mit häufig wechselnden Partnern ein größeres Risiko? Wie sollen die gemachten Angaben jemals überprüft werden? Wer kann im nachhinein nachweisen, ob wirklich 12 Monate vergangen sind seit dem letzten Partner?

Bis vor Kurzem waren Homosexuelle auch ausgeschlossen von der Knochenmarkspende. Was sogar noch weniger Sinn machte, als das Blutspendeverbot, denn bei einem potenziellen Treffer mit einem Patienten wurde ohnehin erst langwierig der Gesundheitszustand des Spenders gecheckt.
Stillschweigend änderte das Zentrale Knochenmarkspender-Register Deutschland seine Richtlinien Mitte Dezember. Erst einen Monat später verbreitete sich die Meldung, dass die Passage über den Ausschluss homosexueller Männer ersatzlos gestrichen worden war. Dumm nur, dass selbst Ende Dezember noch willige Spender beim letzten großen Aufruf der DKMS abgewiesen wurden.
Und bei der Organspende sind wiederum jegliche Spender willkommen: Ausschlusskritierien, wie Infektionen oder Krebserkrankungen, werden im Einzelfall ermittelt. Die sexuelle Orientierung spielt im Transplantationsgesetz keine Rolle. Es gibt zwar einige fragwürdige Formulierungen in den Fragebögen („Hatten sie Umgang im homosexuellen Milieu?“ – Was ist ein homosexuelles Millieu? Ein Dark Room? Die Fashion Week Berlin?) aber sonst kann jeder Organspender werden.
Warum also die Blutspende so herausnehmen? Jedes Jahr, pünktlich zum Sommer, gehen Meldungen über Blutknappheit durch die Medien. Viele Blutbanken haben selbst zu anderen Zeiten Schwierigkeiten die eigentlich angestrebten Vorräte für 3 Tage auf Lager zu halten.
Macht es da Sinn, Millionen Männer pauschal auszuschließen?

Links
FDA – Blood Donations from Men Who Have Sex with Other Men Questions and Answers.
EL PAÍS – Em 50 países, gays são proibidos de doar sangue por causa da AIDS (Portugiesischer Artikel zum Thema).
Wikipedia: Men who have sex with men blood donor controversy.
Transmission of HIV by Blood, Blood Products, Tissue Transplantation, and Artificial Insemination.
Avert: HIV & Blood Safety.
WHO: Global database on blood safety.
Views and experiences of men who have sex with men on the ban on blood donation: a cross sectional survey with qualitative interviews.
UK Regierungspresseerklärung: Lifetime blood donation ban lifted for men who have had sex with men.
Share on FacebookTweet about this on TwitterShare on Google+Share on TumblrShare on RedditPin on PinterestEmail this to someone
Speichere in deinen Favoriten diesen permalink.

3 Kommentare

  1. „Denn Studien zeigen, dass sich die Zahl der HIV-Infektionen durch Transfusionen nicht erhöht hat in Ländern, in denen jeder spenden darf“ – welche Studien? Bitte nähere Infos.

    Da ca. zwei Drittel (!) der HIV-Positiven MSM sind, ist die Wahrscheinlichkeit einer Infektion für Schwule um das bis zu 100fache höher als bei Heterosexuellen. Das Robert-Koch-Institut hat hochgerechnet, dass in Deutschland jährlich statistisch mit bis zu 10 Infektionen zu rechnen wäre, würde man das Blutspendeverbot für MSM aufheben…

    • Danke für den Hinweis. Die Formulierung war missverständlich und hat nicht ausgedrückt, was ich sagen wollte. Dafür entschuldige ich mich.
      Ich habe sie geändert im Artikel und mehr Links eingefügt und angehängt, die vielleicht besser erklären, wieso eine lebenslange Sperre fragwürdig ist. Besonders die australische Studie ist interessant. Dort wurde vor über einem Jahrzehnt die Sperrfrist auf 12 Monate heruntergesetzt. Es wurde untersucht, welche Auswirkungen das auf die Qualität der Blutkonserven hatte. Ergebnis: Keine signifikante Änderung.

      Um die „zwei Drittel der HIV-Infizierten sind schwul“ Zahl in Relation zu setzen: Das sind ca. 53000 Männer in Deutschland.
      Wenn man eine der konservativsten Schätzungen für den Anteil von homo-/bi-/pansexuellen Männern als Grundlage nimmt, sind das etwa 3-5 Prozent in der Bevölkerung. Das sind etwa 1,5 Millionen Männer, 15 Jahre und älter.
      Ich bestreite auch gar nicht, dass HIV ein enormes Problem unter schwulen Männern ist. Aber die Angabe mit den zwei Dritteln erweckt den Eindruck, dass wir alle wandelnde Seuchenherde sind. Realistisch gesehen leben die meisten von uns in monogamen Low-Risk-Verhältnissen.

      Mein Punkt in dem Blog-Eintrag war auch eher, dass der Fokus verschoben wird von der sexuellen Orientierung auf sexuelles Risikoverhalten. Ein monogam lebender, schwuler Mann ist ein weitaus geringeres Risiko als ein heterosexueller mit ständig wechselnden Partnern.
      Letzterer darf aber spenden, jederzeit, so oft er möchte. Und das ist Diskriminierung. Das sieht auch der Europäische Gerichtshof so, also wird da hoffentlich mal was passieren. Mir wäre auch schon die Sperrfrist von einem Jahr recht, Das ist zwar eine eher sinnlose Geste, aber erlaubt dann auch hier detailliertere Studien zur Auswirkung.

      Nochmals danke für den Hinweis auf die unglückliche Formulierung!

  2. Frank Hüsgen

    Die Tatsache, dass schwule Männer kein Blut spenden dürfen, ist in der Tat diskriminierend. Aber nicht nur das: Sie impliziert auch, dass schwule Männer generell häufig wechselnde Geschlechtspartner haben und irgendwie ja auch ohnehin keinen safen Sex praktizieren. Und das ist so nicht in Ordnung. Es ist nach meiner Einschätzung schlichtweg falsch.

    Viele wissen nicht, dass bei gespendetes Blut zunächst nicht nur die Blutgruppe ermittelt und der Rhesus-Faktor festgestellt wird, sondern auch eine ausführliche Untersuchung nach irregulären Antikörpern gegen Hepatitis, HIV und Syphilis stattfindet..

    Durch diese Untersuchen wird Spendenblut, das nicht in Ordnung ist, sofort aussortiert. Die durchgeführten Tests sind inzwischen zu 100% verlässlich. So gibt es keinen sachlichen Grund, das Blut von einem gesunden, schwulen Mann abzulehnen.

    Ich würde im Übrigen auch anzweifeln, dass das Kreuz vor einem solchen Test immer an die richtige Stelle gesetzt wird. Da viele Menschen -ob schwul oder nicht- Angst haben, einen Test auf Hepatitis, HIV oder Syphilis beim Hausarzt durchzuführen, wählen sie den „unauffälligen“ kostenlosen und relativ anonymen Weg über die Blutspende, um an ihr Ergebnis zu kommen.

    In diesem Fall muss man dann wohl feststellen: Je eher eine Erkrankung festgestellt wird, umso besser. Wo sie festgestellt wird, ist egal.

    Bei einem Bluttest sollte jedenfalls jeder Mensch gleich behandelt werden. Die hierfür notwendigen Gesetzesänderungen sollten zügig beschlossen werden.

Kommentare? Anregungen?