70. Jahrestag der Befreiung des Konzentrationslagers Auschwitz. Zwischen den großen Gesten und Reden der Politiker verliert sich immer noch das Gedenken an eine Gruppe von Holocaust-Opfern. Als Einzige wurden sie auch nach dem Krieg verschwiegen, wurde ihnen niemals Wiedergutmachung angeboten, nicht mal durch eine symbolische Geldsumme.
Foto: Laura K Gibb CC BY-NC-ND 2.0
Etwa 10.000 bis 15.000 homosexuelle Männer wurden im Dritten Reich in die Konzentrationslager verschleppt. Nach Schätzungen starben 53%, durch Unterernährung, Erschöpfung und als Folge von medizinischen Experimenten. Hunderte wurden zwangskastriert. Die Dunkelziffer ist hoch, denn in vielen Fällen war im Nachhinein nicht mehr ersichtlich, aus welchen Gründen genau die Opfer inhaftiert wurden. Viele wurden auch in psychiatrische Kliniken eingewiesen, die sie nie wieder verließen.
Die meisten dieser Männer trugen den Rosa Winkel, der sie als Homosexuelle brandmarkte, viele wurden aber auch schlicht als „Asoziale“ markiert. Auch lesbische Frauen wurden mit dem Schwarzen Winkel versehen, was es noch schwieriger macht ihre Zahl einzuschätzen.
Zu ihnen allen kommentierte Goebbels 1942, der „Gedanke der Vernichtung durch Arbeit“ sei „der beste“.
Über 100.000 Männer wurden während des Nazi-Regimes polizeilich erfasst, auf den berüchtigten Rosa Listen. Grundlage für die systematische Verfolgung war der Paragraf 175, der im Kaiserreich eingeführt wurde, aber 1935 von den Nazis verschärft wurde. Plötzlich reichten bereits „begehrliche Blicke“, um verurteilt zu werden.
Und dieser verschärfte Paragraf wurde auch nach dem Krieg unverändert von der BRD übernommen. In der DDR hingegen kam er kaum zur Anwendung und wurde bereits sehr viel früher wieder auf den Stand vor der Nazi-Zeit geändert.
Bis 1969 wurden in der westdeutschen Republik jedoch etwa 50.000 Männer wegen Homosexualität verurteilt, oft zu langjährigen Haftstrafen. In einigen Fällen wurden Männer, die von den Alliierten aus den Lagern befreit wurden, wenige Jahre später erneut verurteilt und ins Gefängnis geworfen.
Inzwischen wird davon ausgegangen, dass von den schwulen Opfern der Nazi-Zeit keine mehr leben. Nie wurden sie entschädigt. Der „letzte schwule KZ-Häftling“, Rudolf Brazda, starb im August 2011 im Alter von 98 Jahren.
Aber von den Nachkriegsopfern des Paragrafen 175 leben immer noch viele Männer unter uns. Ihre Verurteilungen wurden nie rückgängig gemacht, sie gelten nach wie vor als vorbestraft. Trotz Forderungen aus Landtagen sowie von den Grünen und der Linken. Volker Beck prangerte diese Woche die „Prüferitis der Großen Stillstandskoalition“ an. Erneut war seine kleine Anfrage zum Thema vom Justizministerium damit beantwortet worden, dass „man noch prüfe“, ob eine Rehabilitierung überhaupt möglich sei. Die strafrechtliche Verfolgung habe die Existenzen Tausender schwuler Männer vernichtet, so Volker Beck. Man dürfe nicht warten, bis die letzten Opfer gestorben sind.
Und tatsächlich wird der Bundesregierung immer wieder vorgeworfen, dass sie wohl hofften, das Problem würde sich über kurz oder lang auf „biologische“ Art von selbst erledigen.
All das ist besonders deprimierend, weil Deutschland tatsächlich bis zu Nazi-Zeit das progressivste Land der Welt war, wenn es um LGBT-Rechte ging. Der erste Vorkämpfer für schwule Rechte, Karl Heinrich Ulrichs, forderte hier vor über 150 Jahren als erster die gleichgeschlechtliche Ehe. In der Eulenburg-Affäre des Kaiserreichs wurde (relativ) offen und sachlich über Homosexualität debattiert. Begriffe wie „Homosexualität“ und „Transvestit“ wurden hier erfunden, unter anderem von Magnus Hirschfeld, dem Vorreiter der modernen Sexualforschung. Berlin galt bis in die 30er als progressiver Zufluchtsort für Homosexuelle, ein Paradies für Schwule, verglichen mit dem Rest der Welt.
In seinem Buch Gay Berlin: Birthplace of a Modern Identity beschreibt Historiker Robert Beachy die verblüffende Toleranz Anfang des 20. Jahrhunderts, die ungeahnte Freiheit für Schwule in der Stadt.
Es wird Zeit, dass wir zu diesen progressiven Wurzeln zurückkehren, nicht mehr länger hinter anderen Staaten herhinken, was LGBTQ-Rechte angeht. Zeit mit der unsinnigen Unterscheidung zwischen Lebenspartnerschaft und Ehe aufzuhören. Das Adoptionsrecht anzupassen, die letzten Schritte zur Gleichstellung hinter uns zu bringen.
Und natürlich wird es besonders Zeit, die Verbrechen der Vergangenheit nicht mehr totzuschweigen, die Prüferitis zu beenden, endlich die überlebenden Opfer des Paragraf 175 zu rehabilitieren.
Bevor wieder eine Generation von Männern stirbt, ohne den Versuch einer Wiedergutmachung erlebt zu haben.