Gaymers, queer Geeks – wenn man nur die Oberfläche der Popkultur sieht, dann sind wir ziemlich unsichtbar. Nicht ganz ohne Grund, denn einige Geek-Hobbies, besonders Computerspiele, sind alles andere als offen und einladend.
Foto: Joel Davis-Aldridge CC BY-NC-SA 2.0
Videogames gelten nicht gerade als das toleranteste Hobby. Besonders wer online mit anderen spielt, wird früher oder später auf anonyme Idioten treffen, die so richtig die Sau rauslassen, wenn man sie lässt. Das reicht vom üblichen „schwul“ als Dauerbeschreibung für alles, das missfällt, bis hin zu dummen Witzen und Kommentaren, die sehr tief unter die Gürtellinie gehen können. Wie überall im Internet, bringt die Anonymität die schlimmsten Seiten in einigen Leuten heraus. Kein Wunder also, dass die meisten LGBTQ-Gamer, die ich kenne, sich selten zu erkennen geben. Wer hat schon Lust, sich beim Spielen mit ausfallenden Kommentaren auseinanderzusetzen.
Diese – verständliche und absolut nachvollziehbare – Haltung trägt aber auch dazu bei, dass LGBTQ-Gaymers von der Spieleindustrie, mit sehr wenigen Ausnahmen, noch immer nicht als potenzielles Zielpublikum angesehen werden. Wobei man, wie in fast allen Lebensbereichen, die Homophobie und Transphobie natürlich auch letztlich auf misogyne Einstellungen in unserer Kultur zurückführen könnte. Nicht umsonst wird besonders denen viel Hass entgegengeworfen, die aus dem Rahmen der üblichen Geschlechterrollen fallen. Etwa den Männern, die es wagen sich „weiblich“ zu verhalten oder Personen, die sich außerhalb der binären Geschlechterschubladen einordnen.
Die tief verwurzelte Misogynie in der Computerspielbranche will ich gar nicht groß anschneiden. Die „Gamergate“-Debatte letztes Jahr hat sehr schön gezeigt, wie weit die aufgebrachten, anonymen Massen bereit zu gehen sind, bei der geringsten Provokation. Wer mehr dazu lesen will, kann HIER und HIER relativ neutrale Zusammenfassungen lesen. Sehr grob und vereinfacht zusammengefasst, hatten sich zwei Fronten gebildet: Feministische Spielekritiker_innen und Spieldesigner_innen auf der einen Seite, wütende Spielefans mit Kritik am Spielejournalismus auf der anderen. Es kam zu Online-Hetzkampagnen, bei denen private Informationen veröffentlicht und Gewalt-, Vergewaltigungs- und Morddrohungen ausgestoßen wurden. Letztendlich zogen sich einige Journalist_innen, Designer_innen und Programmier_innen aus der Branche zurück und das Thema schlief irgendwann wieder ein.
Mal abgesehen von den wütenden Internettrollen und dem für mich oft extrem unangenehmen Umgangston in Spielcommunities, wundert mich aber seit Jahren am meisten, wie groß die Proteste sind, wenn tatsächlich mal eine LGBTQ-Figur in einem Spiel auftaucht.
Bis vor nicht allzu langer Zeit, waren queere Figuren oder gar Storys sehr selten und wurden oft ähnlich stereotyp eingesetzt wie in Filmen oder Serien: Lustiger, schräger Außenseiter oder Bösewicht. Selbst die wenigen Spiele, wie Die Sims zum Beispiel, die gleichgeschlechtliche Beziehungen integrierten, wurden belächelt dafür (was sich im Nachhinein natürlich als Unsinn herausgestellt hat: Die Sims sind inzwischen beim vierten Teil angekommen und verkaufen sich besonders in demografischen Gruppen, die andere Spiele praktisch ignorieren).
Aber in der Zwischenzeit hat sich vieles getan in der Branche: Eine ganze Reihe großartige Mainstream-Spiele sind herausgekommen, mit vielschichtigen und lebensnahen queeren Charakteren.
BioWare etwa, einer der größten und bekanntesten Entwickler für Rollenspiele, ist bereits seit Jahren einer der Vorreiter, wenn es um queere Inhalte geht. Mass Effect, Dragon Age, Star Wars: The Old Republic und sogar schon Jade Empire, enthielten alle gleichgeschlechtliche Optionen für die Partnerwahl. Trotzdem war das in all dieser Zeit immer wieder mit einem Sturm der Entrüstung verbunden, der glücklicherweise nach und nach kleiner wurde. Zuletzt erregten sich die Gemüter 2011 bei Dragon Age II, als einer der möglichen romantischen Partner einen männlichen Spielercharakter auch anbaggerte, wenn das nicht aktiv initiiert worden war. Besonders Spieleautorin Jennifer Hepler wurde mit extremem Hass angefeindet, weil sie offen über ihren Wunsch sprach, auch Spieler_innen außerhalb der Kernzielgruppe der Gamer anzusprechen. Das führte so weit, dass sogar Morddrohungen gegen ihre Kinder ausgestoßen wurden und sie alle ihre öffentlichen Social Media Profile löschte.
Trotzdem fand sich im aktuellsten Spiel von Bioware, Dragon Age: Inquisition, eine beispiellose Anzahl an queeren Charakteren.
Und in der Zwischenzeit finden sich auch andere Spiele, die bereit sind LGBTQ-Figuren einzubauen. Bei vielen Spielen, wie Saint‘s Row 3 und 4 oder Skyrim, hat man große Freiheit bei der Erstellung von Charakteren mit anderer sexueller Orientierung oder Geschlechtsidentität.
Und Spiele wie Borderlands II und The Last of Us enthalten fantastische queere Charaktere, die weit oberhalb der üblichen Klischees stehen.
Warum sind aber queere Figuren überhaupt wichtig? Natürlich ist es immer schön, die eigene Realität abgebildet zu finden. Aber ähnlich wie bei Filmen und Büchern (ich hatte HIER bereits darüber geschrieben) bietet jede Repräsentation auch die Chance, Berührungsängste und Vorurteile abzubauen.
Im Fall von Computerspielen vielleicht sogar noch mehr als bei einem „passiven“ Medium. Statt nur Charaktere zu beobachten, interagiert man selbst mit ihnen. Mike Rougeau hat vor einer Weile auf Kotaku einen interessanten Artikel geschrieben: „Wie ich feststellte, dass mein Charakter in Dragon Age: Inquisition schwul ist“. Darin beschreibt er, wie faszinierend er es fand, dass sein Alter Ego im Spiel am Besten zum schwulen Magier Dorian passte, von allen möglichen Paarkombinationen.
Der Youtube-Channel PBS Game/Show hat sich ebenfalls mit dem Thema auseinandergesetzt und interessante Schlüsse gezogen:
Diese interaktive Auseinandersetzung mit Perspektiven, die einem fremd sind, macht Computerspiele so bemerkenswert, wenn es darum geht, Akzeptanz für Minderheiten zu fördern. Ich habe manchmal das Gefühl, dass Empathie eine erschreckend unterentwickelte Fähigkeit bei vielen Menschen ist. Wenn ich von den Problemen oder Herausforderungen anderer Personen höre, versetze ich mich aus Reflex schon in ihre Lage. Es ist immer wieder ein komplettes Rätsel für mich, wieso das scheinbar nicht so für jeden ist. Zumindest wenn man die populären Gamer-Communities im Internet beobachtet.
Da wird nicht zuerst dieser gedankliche Schritt vollzogen „Wie wäre es, wenn ich in der gleichen Situation wäre, als Frau/LGBTQ/religiöse/ethnische Minderheit?“ Stattdessen wird erbittert um jedes bisschen Privileg gekämpft, dank Anonymität im Internet eben auch mit Mobverhalten und Gewaltdrohungen.
Ich höre und lese immer wieder, dass sich die Gamer-Community noch in der Pubertät befindet, sozusagen. Der Vergleich passt: Störrisches, egozentrisches Verhalten und kindische Wutanfälle sind an der Tagesordnung.
Vielleicht ist es an der Zeit, dass die Computerspielindustrie erwachsen wird.
Die Fortschritte der letzten Jahre lassen zumindest Hoffnung aufkommen.
Es ist immer wieder interessant, dass so wenig von (vor allem) Hetero-Männern hinterfragt wird, woher diese Angst und Wut eigentlich kommt. Da geht man soweit, jemandem Gewalt anzudrohen, ohne ein Bewusstsein dafür entwickeln zu wollen, warum das so sein könnte? Ich kann mir so ein unhinterfragtes Verhalten für mich persönlich nicht mal vorstellen! (Wer ist hier „quer“?)
Genau wie Mitgefühl von solchen Menschen oft als quid-pro-quo-Bringschuld empfunden wird („Mit mir hat ja schließlich auch keiner Mitgefühl“ als Pauschal-Urteil), so wird auch diese völlig überzogene Reaktion auf „Frau/LGBTQ/religiöse/ethnische Minderheit“ von den Angst/Wut-Empfindern sehr selten reflektiert. Sie fühlen sich in ihren Privilegien angegriffen – die zu besitzen sie, darauf angesprochen, glatt abstreiten würden. ^^
Ich hab mit der Gamer-Community absolut nix zu tun und hatte keine Ahnung, was da abgeht und in jüngster Vergangenheit abging, aber ich fand das sehr interessant zu lesen. Vielen Dank! See you around on Twitter.
Dass Privileg nicht hinterfragt wird, ist ja nicht aufs Gaming beschränkt, aber ich glaube, dass sich dort diese Wut besonders leicht zeigt, weil soviel davon online stattfindet.
Freut mich, wenn ich einen kleinen Blick in die dunkleren Teile der Gaming-Subkultur bieten konnte. 🙂