Die falsche Art von schwul – Die Suche nach dem besten Freund

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Foto: Bryan Rosengrant CC BY-ND 2.0

Vor einer Weile hat es mich auf eine Party verschlagen. Nicht unbedingt mit engen Freunden – mehr ein paar gute Bekannte. Ich kannte die meisten dort nur vom Sehen, wenn überhaupt. Aber bereits bei meiner Ankunft wurde mir schnell klar, dass die Gastgeberin so „nett“ gewesen war, mich anzukündigen.
„Tim ist übrigens schwul“. Lieber nicht riskieren, dass jemand was politisch Inkorrektes sagt und mich vielleicht vor den Kopf stößt. Ich frage mich dabei immer, ob meine sexuelle Orientierung das einzige Interessante ist, was es über mich zu erzählen gibt. Aber es war gut gemeint. Was soll’s.

Also saß ich schon bald mit einem Bier am Rand und die neugierigen Blicke und die leichte Verlegenheit verschwanden, wie üblich, nach ein paar Minuten. Während die meisten anderen Gäste schon bald keinen Gedanken mehr an mich verschwendeten, gab es eine Ausnahme: Nennen wir sie Paula. Mitte zwanzig, erfolgreich, trendy. Und für Paula war durch mich ein lange gehegter Traum in greifbare Nähe gerückt: Endlich einen schwulen besten Freund ergattern! Endlich so ein modisches und wundervolles Accessoire besitzen, wie all die Schauspielerinnen und Sängerinnen und Stars! Hurra!

Also saß sie kurz darauf neben mir und wir führten mühsamen Small-Talk. Natürlich war das nicht das erste Mal, dass ich in so einer Situation war: Spätestens seit Sex and the City und andere TV-Serien einen schwulen Freund zum modischen Traum gemacht haben, tauchen immer wieder mal solche Damen auf. Vielleicht ist das in Großstädten anders, aber hier in der Gegend ist es wohl nicht so einfach, ein angemessenes Angebot an Kandidaten zu finden. Wieso gibt es auch noch keine Outlets für Homo-Freunde? Skandalös.
Dumm nur, dass ich so überhaupt nicht den Vorstellungen entspreche, die mit dem Posten verbunden sind. Ich interessiere mich nicht für Mode. Meine einzige Antwort auf die Frage „Was soll ich tragen?“ ist automatisch: „Klamotten?“ Ich kenne kaum Marken, habe keinerlei Gespür für Farben oder Schnitte und es interessiert mich auch alles schlicht nicht. Mich mitzuschleifen zum Shoppen, endet für alle Beteiligten im besten Fall als enttäuschend fade Folter.
Ähnlich geht es mir mit Frisuren, Make-up und Inneneinrichtung. Bei einem Ikea-Besuch interessiert mich nur, so schnell wie möglich wieder mit dem geplanten Kauf verschwinden zu können. Mich nach Meinungen zu Dekorationen zu fragen ist eher wagemutig.
Aber Paula ließ sich nicht entmutigen und hakte in schneller Folge all die üblichen stereotypen Interessen ab:
Musicals – Nie wirklich eins gesehen, finde die Singerei auch eher anstrengend.
Diven – Mit wenigen Ausnahmen schlicht nicht meine Musik.
Prosecco – Danke, ich bleib bei Bier.
Wenn ich nicht als schwul angekündigt worden wäre, hätte Paula mich vermutlich keines Blickes gewürdigt. Wir hatten wirklich absolut nichts gemeinsam.

Schließlich gab sie entnervt auf und ich konnte ihre Gedanken förmlich hören: „Ist der wirklich schwul?“
Sie versuchte dann noch, mich zu einem Einkaufsbummel zu überreden – wohl in der vagen Hoffnung, dass dabei meine „natürlichen Instinkte“ geweckt werden würden – aber ich floh dann zu einer anderen Unterhaltung und ließ die arme Paula mit gebrochenem Herzen zurück. Ich war fast in Versuchung, ihr zu empfehlen, es mal auf Grindr zu versuchen. Das wäre zumindest wirklich lustig gewesen als Zuschauer.
Sicher, sie hat es nicht böse gemeint. Und kurz nach meinem Coming-out hätte ich wahrscheinlich versucht, ihre Erwartungen zu erfüllen. Damals hatte auch ich nur dieses Bild vor Augen, wenn es um Schwule ging: Modebesessen, trendy, metrosexuell.
Aber das ist Jahre her und hat nicht lange angehalten. Zwar ist Männer zu lieben ein wichtiger Teil meiner Identität, aber eben wirklich nur ein Teil. Und dieser Teil hat nur wenig mit meinen anderen Interessen zu tun: Ich bin auch ein Nerd, Gamer, Bücherfreak und politisch interessiert. Und selbst diese Hobbies sind nur ein kleiner Teil vom Gesamtbild.
Wobei es natürlich ebenso viele schwule Männer gibt, die sich für all diese Dinge interessieren, die Paula gesucht hat. So wie es auch Schwule gibt, die Heavy Metal hören, Fußball spielen, im Schützenverein aktiv sind oder tief religiös. Und das ist alles völlig in Ordnung. Unsere sexuelle Orientierung ist nicht der bestimmende Faktor unserer Persönlichkeit. Selbst ein befreundeter Friseur und Modefanatiker hätte sich vermutlich über ihre Versuche der Annäherung eher amüsiert.

Niemand ist ein modisches Accessoire. Wer das Bedürfnis verspürt, sich mit anderen Menschen zu schmücken, weil das so lustig aussieht in Filmen oder Serien, sollte vielleicht weniger fernsehen.
Ich suche mir meine Freunde nicht danach aus, ob sie trendy und angesagt sind. Ich interessiere mich für Menschen, weil sie interessant sind und wir eine ähnliche Sicht auf die Welt teilen. Und ich hoffe, irgendwann kommt die gleiche Einstellung auch bei den Paulas an und ich muss nie wieder eine verlegene Unterhaltung mit einer hoffnungsvollen Bewerberin für einen schwulen besten Freund führen.
Not interested – move along now, dear.

Inspiriert durch Liza Cat’s Blog:
“Du musst Andreas kennenlernen. Er ist schwul.” Oder: Warum ich sehr gut auf überflüssige Zusatzinformationen verzichten kann.

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10 Kommentare

  1. Das mit dem Schützenverein kann ich aus persönlicher Erfahrung bestätigen. Toller Artikel, der mir aus dem Herzen schreibt.

    • Habe bei dem Satz auch an dich gedacht 😀
      Ich bin froh, dass ich nicht der einzige bin, dem das passiert, mit den „neuen Freundinnen“.

  2. Hey Tim,
    toller Artikel und ein Statement, das ich sofort unterschreiben würde – das Gesamtpaket macht den Menschen aus!
    Leider gibt es viel zu viele solcher Paulas. Vor Kurzem fragte mich eine Kommilitonin: „Dein bester Freund ist doch schwul oder?“ – „Ja, und?“ – „Wow, das muss ja cool sein!“ – Ja, natürlich ist es cool, weil er ein toller Mensch ist. Punkt.
    Grüße
    Julia alias PinkPuma 🙂

    • Danke dir, Julia. Es ändert sich langsam, dank größerer Sichtbarkeit, aber bis dahin hilft eben nur milder Spott bei solchen Einstellungen 🙂

  3. Wow toller Artikel. Obwohl ich seit meinem Outing noch keine solche Geschichte wie du sie schilderst erlebt habe, kann ich’s mir gut vorstellen und gebe dir in allen Punkten recht. Wir sind alle verschieden! Ich höre oft wenn ich mit meinem Schatz unterwegs bin, das wir gar nicht schwul und wie ein Paar aussehen. Meist ist es dann erst ein Kuss oder die ein bisschen zu zärtliche Umarmung welche dann anderen Personen die Augen öffnen. Ich finde es überhaupt nicht toll das wir Schwule durch gewisse bestimmte Eigenschaften charakterisiert werden. Auch wenn ich nicht der männlichste Typ bin…… Wenn ich in meiner beruflichen Tätigkeit die Führung über eine Notfallsituation und die Verantwortung für ein Menschenleben übernehme, Anweisungen erteile, dann würde mir keiner der Umliegenden glauben dass ich Schwul bin- trotzdem habe ich einen Mann, einen wunderbaren Schatz den ich über alles Liebe.

    Liebe Grüsse

    Yannick

    • Sehr schön, das zu hören. 🙂
      Je mehr LGBTQs, die nicht dem Bild von denen in Serien und Filmen entsprechen, sichtbar werden, desto schneller hören dann hoffentlich Sätze auf wie „Du wirkst überhaupt nicht schwul“

  4. Sehr guter Artikel. Du sprichst mir aus der Seele. Die Paulas dieser Welt sind von mir auch immer bitter enttäuscht.
    Allerdings sehe ich das mit den Stereotypen gar nicht so eng……die meisten Schwulen suchen ja auch jemanden der „heterolike“ ist und verbinden damit einen Stereotyp vom Macho, groß, kernig, usw. Warum dürfen Heteros dann nicht auch ein Schubladenbild von einem Schwulen haben? Mich stört das nicht, ich passe halt einfach nicht in die Schublade, viele andere schon, was solls.

    Gruß aus Augsburg

    Markus

    • Danke dir. Ist jetzt auch nichts, über das ich mich endlos aufrege. Eher was, über das ich mich amüsiere. Gerade wenn man nicht in eine Schublade passt, dann kann das auch sehr lustig sein.

  5. Huhu Tim !
    Das Problem mit diesen Paulas kenne ich auch nur zu gut ! Ich persönlich finde das extrem lästig ! Ich war früher sehr oft in Frankfurt am Main in Bars und Discos der Homo-Szene unterwegs. Wenn ich mit meinem Freund da auf der Straße unterwegs war wurden wir oft von irgendwelchen Weiber-Cliquen angesprochen, ob wir schwul wären und ob die uns fotografieren dürfen, …. Da kamen wir uns oft vor wie Tiere im Zoo. Und ich mach mich doch nicht zum Affen für ein paar wildfremde Mädels. Aber das ist längst nicht das Schlimmste ! Sondern das Schlimmste ist, dass die Mädels offenbar auch immer öfter dachten, dass nicht nur sie einen schwulen besten Freund suchen, sondern dass auch die Schwulen eine beste Freundin aus der Heten-Welt suchen. Und so kamen immer öfter solche Mädel-Grüppchen in die Schwulen-Bars und quatschten einfach mal jeden an, wollten tanzen und die Leute in Klischee-Gespräche verwickeln. Nach und nach wurden es immer mehr, …. und gleichzeitig wurden es immer weniger Schwule, weil man sich nicht mehr so richtig wohl fühlte. Überall Mädels, überall. Und die waren oft aufdringlich und nervten durch ihre blöden Fragen und das ständige Geknipse mit den Fotohandys. Ich hab keine Ahnung was dieser Mist sollte, aber ich bin fest der Überzeugung dass dies der Anfang vom Ende einiger beliebter Szene-Lokale war. Echt schade. Vorallem gibt es eine gewisse Ironie: Die Mädels haben oft gemeint, dass sie lieber in ne Schwulen-Disco gehn weil sie dort mit jedem Flirten und Tanzen können ohne Angst haben zu müssen dass sie gleich betatscht und belästigt werden, …. aber umgekehrt machen die Mädels genau das mit den Schwulen dort ! Irgendwie nicht ganz zu Ende gedacht.

    • Hallo Alex, freut mich, dass ich damit einen Nerv getroffen habe. So schlimm hab ich das selbst nie miterlebt, aber ich wohn auch nicht in einer Großstadt 🙂
      Hilft wohl nur drüber schmunzeln, glaube ich.

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