Von Unsichtbar zu Mainstream – Queere Repräsentation im Kino und TV

„Ich hab nichts gegen Schwule, aber ich möchte das halt nicht sehen. Muss denn in jeder Serie jetzt ein Schwuler oder eine Lesbe vorkommen?“
So ähnlich sehen Kommentare zu Diskussionen um LGBTQ-Figuren in TV-Serien oder Filmen aus. Umgekehrt dann aber auch oft der Kommentar aus der LGBTQ-Community:
„Mir ist es lieber, es kommt gar kein/e Schwuler/Lesbe vor, als wieder so ein Klischee.“
TVGuy Foto: Lubs Mary. CC BY-NC-SA 2.0

Jedes Jahr veröffentlicht die Organisation GLAAD (früher „Gay & Lesbian Alliance Against Defamation“) Berichte und Studien zur Repräsentation von LGBTQ in den US-Medien. Seit einer Weile mache ich mir bereits Gedanken über den letzten Bericht vom Herbst 2014. Nie zuvor waren so viele LGBTQ-Charaktere in Filmen und ganz besonders im Fernsehen zu finden. Wobei natürlich klar ist, dass Quantität nicht gleichbedeutend ist mit Qualität.

Erstmal vorneweg: Ja, das sind alles Zahlen für US-Filme und Serien. Mir wäre nicht bekannt, dass es ähnliche Untersuchungen für deutsche Medien gäbe (ich lasse mich da aber gerne eines Besseren belehren). Bei der Recherche erschien es mir, als würden sich die meisten Organisationen hier hauptsächlich auf die Repräsentation in den Nachrichten konzentrieren.
Aber seien wir mal ehrlich: Die meistgesehenen Filme im deutschen Kino sind, mit wenigen Ausnahmen, aus den USA. Und auch bei den Serien, mal abgesehen von Reality-TV, dominieren die Importe. Ich behaupte einfach mal, dass sich da durchaus Vergleiche anstellen lassen, was den Einfluss dieser queeren Repräsentation angeht.
Trotzdem gibt es natürlich auch viele Beispiele für (mehr oder weniger) gelungene Repräsentation von LGBTQ-Personen im deutschen Film und Fernsehen. Beispiele wären Soaps wie die Lindenstraße oder Verbotene Liebe, aber auch diverse Reality/Docu-Soap-Formate. Wem mehr einfallen: Einfach rein in die Kommentare damit.

Eine weitere Anmerkung: Das Ungleichgewicht zwischen männlichen und weiblichen Rollen erscheint auf den ersten Blick unheimlich hoch, spiegelt aber ein grundlegendes Problem in den Medien wieder. Laut dem „It’s a Man’s (Celluloid) World“-Report, sind nur 15 Prozent aller Protagonisten weiblich. Bei den Hauptrollen sind es 29 Prozent, bei den Sprechrollen 30 Prozent.
Weitaus schlimmer sieht es noch aus bei den Stellen für Frauen hinter der Kamera. Zum Beispiel sind nur 9 Prozent der Regisseure weiblich und 15 Prozent der Drehbuchautoren.

Filme

Im Studio Responsibility Index untersucht GLAAD jedes Jahr die Anzahl und Qualität von LGBTQ-Rollen in den Filmen der 7 größten Studios.
Dabei greifen sie unter anderem auf den Vito Russo Test zurück, der – angelehnt an den Bechdel Test, mit dem die Repräsentation von Frauen in Medien getestet wird – versucht die Qualität der LGBTQ-Rollen zu messen. Um zu bestehen, muss ein Film die folgenden Kriterien erfüllen:

  • Er muss mindestens einen LGBTQ-Charakter enthalten, der als solcher zu identifizieren ist.
  • Der Charakter darf nicht ausschließlich durch seine sexuelle Orientierung/Geschlechts-Identität definiert sein, muss also ebenso vielfältige Charakterzüge wie andere Figuren aufweisen.
  • Der Charakter muss so in den Plot integriert sein, dass seine/ihre Streichung einen Effekt hätte. Er oder sie muss also relevant für den Plot sein, nicht so ohne Weiteres zu ersetzen durch eine andere, zufällige Figur.

Von den 107 Filmen der großen Studios, die 2013 rauskamen, enthielten 17 LGBT-Charaktere. 7 dieser Filme bestanden den Vito Russo Test.
64 Prozent dieser Rollen identifizierten sich selbst als männlich, 36 Prozent als weiblich.
Wenig überraschend auch, dass die meisten dieser Filme (8 von 19 insgesamt) Komödien waren, während weit abgeschlagen Genre-Filme (Sci-Fi, Superhelden, Action, etc.) nur in 4 von 43 Filmen queere Charaktere enthielten.
Das zeigt, dass LGBT-Figuren immer noch häufig nur als „Comic Relief“ eingesetzt werden. Die ultra-butche Lesbe etwa, oder der lispelnde, quietschende Schwule.

TV

Im Where We Are on TV Report 2014, untersuchte GLAAD auch Fernsehsender, in ähnlicher Weise.
Ich habe mal die Zahlen für Netzwerksender (NBC, ABC, CBS, etc.) und Kabelsender (HBO, TNT, USA, SyFy, etc.) zusammengerechnet, weil der Unterschied für uns im deutschen Raum kaum eine Rolle spielt. Die Kabelsender sind aber insgesamt bei Weitem inklusiver, nur noch übertroffen von den Streaming-Services, wie Netflix oder Amazon Prime.

Insgesamt existierten 170 LGBT-Figuren (etwa 4 Prozent aller TV-Rollen).
97 dieser Rollen waren männlich (56 Prozent). 74 sind weiblich (44 Prozent).
Schwule Männer machen 50 Prozent der Rollen aus, lesbische Frauen 27 Prozent. Umgekehrt: 18 Prozent aller LGBT-Charaktere sind bisexuell und weiblich, 7 Prozent sind bisexuell und männlich.
Das spiegelt auch Probleme wieder, auf die man innerhalb der LGBTQ-Community immer noch häufig stößt: Frauen sind „unsichtbarer“ als Männer. Und bisexuelle Männer wiederum „existieren nicht“. Es ist manchmal fast nicht zu glauben, wie oft man noch den Spruch hört: „Bi gibt es nicht. Der hat sich nur noch nicht getraut sich ganz zu outen.“

Trans-Charaktere sind nur mit einer Handvoll Figuren vertreten (Transparent, Orange is the New Black und zuletzt Glee). Meines Wissens existiert auch nur ein asexueller Charakter im Fernsehen: Sanitäterin Voodoo in der Serie Sirens. Ebenso sieht es bei Intersex aus: Dort kenne ich nur Lauren aus der Serie Faking It.

Warum sollte mich das überhaupt interessieren?

Die ganzen Zahlen sind zwar faszinierend (ich kann wirklich nur empfehlen, sich mal durchzugraben durch die ganzen Berichte), aber spielt es überhaupt eine Rolle, ob LGBTQ-Figuren in Filmen und Serien auftauchen?
Dazu muss man sich mal vor Augen führen, wie massiv sich die Repräsentation in den letzten 20 Jahren gesteigert hat. Mitte der 90er musste man noch wirklich suchen, um mal einen Schwulen oder eine Lesbe zu finden, zumindest im Mainstream – mal ganz zu schweigen von Trans-Rollen.
Als dann um diese Zeit herum plötzlich immer mehr Filme sich trauten (Birdcage, Der bewegte Mann, In & Out, To Wong Fu), brachte das eine enorme Lawine ins Rollen, auch im Fernsehen. Als Ellen DeGeneres sich 1997 outete, war das ein Rückschlag für ihre Karriere, der mehrere Jahre anhielt. Bei uns waren die Coming Outs von Hape Kerkeling, Alfred Biolek, Hella von Sinnen und anderen ebenfalls Riesennews.
Und dann tauchten plötzlich immer mehr Serien auf – wenn auch sehr oft fixiert auf schwule Männer, zugegebenermaßen: Will & Grace, Dawson’s Creek, Friends, Queer as Folk, etc. Auf einmal flimmerte in jedem Wohnzimmer früher oder später ein queerer Charakter über den Schirm.

Und ich behaupte, dass das nicht unwesentlich dazu beigetragen hat, dass wir in den letzten zwanzig Jahren so weit gekommen sind mit der Akzeptanz und Gleichstellung. In einigen faszinierenden Studien, wie beispielweise dieser hier im Journal of Applied Social Psychology, wurde untersucht, wie sich die Konfrontation mit LGBTQ-Charakteren auf die Einstellung gegenüber queeren Menschen auswirkt. Und dabei stellte sich immer wieder heraus, dass sogar noch Monate nach der Studie positive Effekte zu messen waren. Bei Weitem nicht so stark wie bei einem persönlichen Kennenlernen, aber beeindruckend.
Aber nicht nur der positive Effekt auf die Mehrheit in der Gesellschaft ist wichtig: Für viele Teenager sind die ersten Identifikationsfiguren für das innere Coming Out nur im Film oder Fernsehen zu finden. Für mich waren zu dieser Zeit schwule Charaktere wie Jack aus Dawson’s Creek unheimlich wichtig, um meine Homosexualität als etwas Normales wahrzunehmen.

Anders als bei den meisten Minderheiten – seien es Ethnizität, Nationalität, Religion, etc. – wachsen queere Jugendliche in den wenigstens Fällen in Familien auf, die zur gleichen Minderheit gehören. Was automatisch bedeutet, dass sie kaum Hilfestellung erfahren können, wenn es darum geht sich mit ihrer sexuellen Orientierung oder Geschlechtsidentität auseinanderzusetzen.
Sicher: Es gibt glücklicherweise inzwischen viele Jugendgruppen bei Vereinen und Projekten, die helfen können Kontakte zu knüpfen. Und das Internet hat ebenfalls viel dazu beigetragen, dass es nie so einfach war wie heute, sich mit anderen in der gleichen Situation zu vernetzen.
Aber selbst eine fiktive „Normalität“, wie sie in einem Film oder eine Fernsehsendung auftaucht, kann unglaublich hilfreich sein. Besonders auch, weil zunehmend realistischere Zukunftsmodelle auftauchen. Queere Figuren in Shows und Filmen sind nicht mehr ausschließlich die komischen Aussenseiter: Sie haben Familien, funktionierende Beziehungen und alle nur denkbaren Berufe.

Um also wieder auf die Aussagen am Anfang zurückzukommen:
„Ich hab nichts gegen Schwule, aber ich möchte das halt nicht sehen. Muss denn in jeder Serie jetzt ein Schwuler oder eine Lesbe vorkommen?“
Erstmal: Jeder Satz der mit „Ich hab nichts gegen Schwule…“ anfängt, lässt sich eigentlich übersetzen mit: „Ich mag Schwule nicht“.
Aber mal abgesehen davon, ist die einzige mögliche Antwort:
Wir werden gerade mal durch 4 Prozent aller Rollen repräsentiert.

Ich habe in meinem Leben vermutlich schon Zehntausende heterosexuelle Paare in Filmen und Serien gesehen. Ich bin deshalb nicht hetero geworden und ich habe keinen bleibenden Schaden dadurch erlitten, dass ich mich nicht zu hundert Prozent damit identifizieren konnte. Es ist zumutbar, mal ab und an einen Charakter zu erblicken, der nicht die eigene Lebensrealität perfekt wiederspiegelt.

„Mir ist es lieber, es kommt gar kein/e Schwuler/Lesbe vor, als wieder so ein Klischee.“

Ich kann diese Einstellung komplett nachvollziehen. Sie ist nur leider kurzsichtig.
Selbst wenn von den existierenden queeren Repräsentationen viele noch Stereotypen nachbilden, gibt es inzwischen aber auch viele lebensnahe, „echte“ Charaktere. Und das ist eine Entwicklung, die in den letzten 20 Jahren in rasantem Tempo stattgefunden hat.
Und selbst stereotype Darstellung hat konkrete Auswirkungen: 1996 lag die Zustimmung zur gleichgeschlechtlichen Ehe in den USA noch bei 27 Prozent. Im Herbst 2014 war sie bis auf 48 Prozent angestiegen. Selbst Paare wie Mitch und Cam aus der Serie Modern Family – oft kritisiert dafür, dass die beiden fast schon eine platonische Beziehung haben und selten physische Intimität zeigen – erscheinen jede Woche bei Millionen Zuschauern im Wohnzimmer. Und jedes Mal schaffen sie ein klein wenig mehr von dem Gefühl weg, dass schwule Paare nicht „normal“ sind.

Oder um Margaret Cho, eine meiner Lieblings-Komikerinnen, zu zitieren:

The power of visibility can never be underestimated.

Die Macht von Sichtbarkeit kann nie unterschätzt werden.

Links
Regenbogenbuntes TV.
thecriticalmediaproject – LGBTQ.
Queer Representation in Film and Television .
5 Things We Know About LGBT Representation.
Television shows, gay characters and the origin of younger Americans’ support for LGBTQ rights.
Exposure to the Lives of Lesbians and Gays and the Origin of Young People’s Greater Support for Gay Rights.
An Analysis on the Influence of Fictional Gay Television Characters on the GLBT Community.
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4 Kommentare

  1. Danke für die ausführliche Auswertung, toll, dass du dir so viel Mühe gemacht hast. 🙂

    Mit dem Thema Sichtbarkeit von LGBTQ in den Medien beschäftige ich mich auch schon eine Weile, in Bezug auf lesbische und bisexuelle Frauen insbesondere in meinem Blog Rosalie & Co. Da habe ich 2012, auch angeregt durch die Zahlen von GLAAD, zum ersten Mal eine Liste mit lesbischen und bisexuellen Frauenfiguren in deutschen Serien zusammengestellt und sie vor einigen Monaten aktualisiert:

    http://www.rosalieundco.de/2014/10/17/frauenliebende-frauen-in-deutschen-serien-im-oktober-2014/

    Das Ergebnis: Im Gegensatz zu US-Serien geht bei uns die Tendenz leider in die andere Richtung. 🙁

    • Herzlichen Dank, ganz besonders auch für deinen Link zum Blog.
      Den hatte ich bisher noch nicht gefunden, aber der hat direkt seinen Weg in meine Bookmarks gefunden.

      Ich würde auch sehr gerne mehr über die Entwicklung bei uns anmerken, aber ich schaue einfach nicht sehr viel deutsches Fernsehen. Bin ja eher der Geek und meine bevorzugten Genres werden hier wenig bedient.
      Vielleicht haben wir ja Glück und es bildet sich mal ein ähnlicher Verband wie GLAAD für den deutschen Raum?

  2. Pingback:Empathie und Computerspiele – Anders sein unter Geeks - Verbloggt - Tim Spohn

  3. Pingback:Queer TV – 4 (Streaming) Serien-Tipps - Verbloggt - Tim Spohn

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