Sei doch mal normaler! – Das Schreckgespenst der Homo-Lobby

Sei doch mal normaler! – Das Schreckgespenst der Homo-Lobby

Foto: Danilo Urbina CC BY-NC-ND 2.0

„Ihr solltet euch nicht als anders bezeichnen. Ist doch kein Wunder, dass ihr ständig ausgegrenzt werdet, wenn ihr das selber macht“
Da sitze ich also nun, erst mal sprachlos. Mit einem einzigen Kommentar ist eine Diskussion komplett entgleist, in der wir über die Erfahrungen von LGBTQ-Jugendlichen gesprochen haben, die sich oft isoliert und eben anders fühlen.
Nach zwanzig Minuten, in denen die Debatte zunehmend hitziger wird, klinke ich mich aus. Es ist ja nicht das erste Mal, dass ich dieses Argument höre:
Ihr seid ja selber schuld. Mit ein bisschen mehr Diskretion und Anpassung wäre das alles kein Problem. Die Trans-Person kann ja auch nur Zuhause ihre/seine wahre Gender-Identität ausleben und sich sonst „verkleiden“. Ein_e Trans-Jugendliche_r kann ja auch erstmal warten, bis er/sie erwachsen ist, eine ungewollte Pubertät durchgemacht hat und dann die Hilfe bekommt, die er/sie braucht.
Die gleichgeschlechtlichen Paare können ja durchaus auch außerhalb der Wohnung so tun, als wären sie nur richtig enge Freunde.
Und so weiter und so fort.
Alles durchaus zumutbar, wenn man ein bisschen versucht sich anzupassen an die Mehrheit.

Unterschwellig schwingt für mich da mit: Warum könnt ihr nicht einfach normal sein? Wieso könnt ihr nicht einfach mal ein bisschen weniger sichtbar werden und zufrieden sein, mit dem, was wir euch zugestehen an Rechten und geduldeter Gleichstellung?
Und mir fällt nie rechtzeitig eine schlagfertige Antwort ein, wenn ich das höre.
Wobei diese Argumentation in der Regel von eigentlich aufgeschlossenen Leuten kommt, die wirklich kein Problem mehr sehen, wenn es um andere sexuelle Orientierungen oder Geschlechtsidentitäten geht. Vor einiger Zeit etwa von einem ehrenamtlichen Mitarbeiter in einem Jugendzentrum für queere Jugendliche. Zudem sind es auch gerne Schwule, die vergessen, dass es auch noch andere Minderheiten gibt, die sich zu LGBTTIAQ zählen. Und für Trans-Personen etwa ist bei weitem nicht alles so nett heute, wie für uns Schwule.
Aber immerhin sind wir wirklich weit gekommen, mit der Toleranz und Akzeptanz, verglichen mit früher.
Heute hat sogar die AfD eine Bundesinteressengemeinschaft Homosexuelle in der AfD. Und wenn das nicht Realsatire ist, weiß ich auch nicht weiter.

Warum können wir nicht normal sein, diskreter und uns unsichtbarer machen?
Und damit sind nicht die CSDs gemeint, über die man durchaus geteilter Ansicht sein kann: Das fängt schon an bei dem Wunsch gleichgeschlechtlicher Partner, in der Öffentlichkeit mal Händchen zu halten. Muss das denn sein? Das will doch keiner sehen!
Warum können wir nicht die Klappe halten und zufrieden sein, mit dem, was wir erreicht haben?
Weil unter der scheinbar so aufgeklärten und toleranten Oberfläche unserer Gesellschaft, immer noch jede Menge Ablehnung brodelt. Seit Anfang des Jahres schwappt wieder eine neue Welle der Homophobie und Anti-Gender-Bewegung durch die Medien.
Zig Talkshows, Kolumnen und Artikel widmen sich der bitterbösen Homo- und Gender-Lobby. Ein paar meiner Lieblingszitate:

Die Landesregierung Baden-Württemberg plant hinter verschlossenen Türen aus totalitärem Denken heraus eine Gehirnwäsche. Es geht dem gesamten Bundesland an den Kragen

So Birgit Kelle, die momentan wieder durch alle Talkshows geschleust wird, damit sie für ihr dämliches Buch werben kann. Dass sie den erzkonservativen Legionären Christi nahesteht, macht sie nur noch sympathischer. Wer schätzt nicht ein paar Legionäre in seiner Umgebung. Anachronismus und religiöser Fundamentalismus – eine attraktive Kombination.

Können Kinder durch Schulunterricht schwul werden? Natürlich nicht, aber bisexuell. Mit Bisexualität wird Untreue mitgeliefert.

Auch die katholische Theologin Michaela Freifrau Heereman hat alles ganz genau durchschaut. Wer bi ist, hat ja praktisch keine andere Wahl, als sich willenlos allem an den Hals zu werfen, was nicht bei drei auf den Bäumen ist. Aber gut. Katholisch und Adelstitel – da ist jemand noch im 19. Jahrhundert gefangen und sucht verzweifelt eine Zeitmaschine.
Dass die sexuelle Orientierung schlicht nicht beeinflussbar ist, durch noch so viel Aufklärungsunterricht und Gehirnwäsche, steht ja erst seit ein paar Jahrzehnten fest. Da hat die Dame durchaus noch Zeit, bis sie diese News erreichen werden.

Für mich ist die Schöpfung darauf ausgerichtet, dass Mann und Frau sich zusammentun, um Kinder auf die Welt zu bringen. Daraus und vom Wohl des Kindes her gedacht kann ich mir ein Adoptionsrecht gleichgeschlechtlicher Paare nicht vorstellen

So tönte Guido Wolf, der Spitzenkandidat der CDU in Baden-Württemberg, letzte Woche. Das ist genau, was man von einem Ministerpräsidenten möchte: Politik mit religiöser Grundlage. Nächster Punkt auf der Agenda ist dann wohl das Verbot von Meeresfrüchten und die Einrichtung von Evakuierungszentren für die nächste Sintflut.

Mein ganz persönlicher Favorit ist aber die Pegida-Bürgermeisterkandidatin in Dresden, Tatjana Festerling:

Wir wollen übrigens auch nicht den Terror der schwul-lesbisch-queren-intersexuellen Minderheit, die unsere Kinder mit ihrem überzogenen Sexualscheiß schon in der Grundschule traumatisieren. Wer hat uns überhaupt jemals gefragt, ob es unseren Kindern gut tut, mit sechs Jahren zu lernen, wie sich lesbische Paare befriedigen?!

Es ist ja grundsätzlich schon eine richtige Empfehlung, wenn jemand selbst der AfD zu weit rechts ist. Schade, dass ich nicht in Dresden wohne. Bei so gut formulierten Argumenten könnte ich nicht widerstehen, meine Stimme sofort dieser weisen Rhetorikerin zu geben.
Tausende Menschen bejubeln diese Dame. Und kehren dann zurück in Arztpraxen, Ämter, Schulen, Unis, Gerichte, Polizeistellen, etc., etc. Das würde mir als Einwohner Dresdens ein warmes und wohliges Gefühl bescheren: So viele nette Menschen um mich herum, die mich hassen.

Wieso also können wir das Thema „Rechte für Minderheiten“ nicht abschließen und uns glücklich und zufrieden der Mehrheit anschließen? Weil nicht wir es sind, die uns abkapseln und ausgrenzen.
Es sind nicht die Trans-Personen, die darum bitten angestarrt und ausgelacht zu werden.
Es sind nicht die gleichgeschlechtlichen Paare, die in der Öffentlichkeit belächelt und verhöhnt werden möchten.
Es sind nicht die Asexuellen, die darum bitten von ihren Ärzten als „frigide“ und „gestört“ diagnostiziert zu werden.
Dieser Stempel „Du bist Anders“ wird uns von außen aufgedrückt. Und natürlich können wir versuchen uns besser anzupassen, weniger sichtbar zu werden, nicht anzuecken.
Mein Freundeskreis besteht zum allergrößten Teil aus Nicht-LGBTQs. Mit der Schwulenszene oder einschlägigen Clubs und Bars habe ich wenig zu tun. Aber trotzdem werde ich nicht anfangen so zu tun, als sei ich nicht homosexuell. Und ich werde definitiv nicht darauf warten, dass man uns gnädig weitere rechtliche Gleichstellung und Akzeptanz zukommen lässt.

Während um uns herum ein europäisches Land nach dem anderen die Ehe öffnet für gleichgeschlechtliche Paare, warten wir auf ein Bauchgefühl unserer Kanzlerin.
Es wird erbittert darum gekämpft, dass in Schulen kein Wort über sexuelle Orientierungen und Geschlechtsidentitäten verloren wird. Die Demo für Alle trampelte mit 2400 Teilnehmern Ende März durch Stuttgart, ein schönes Signal für uns, wie willkommen wir sind in einigen Teilen der Gesellschaft.
Vor zwei Wochen wurde ein schwules Paar in Freiburg angegriffen und einer der Männer wurde krankenhausreif geprügelt.

Ich bin der erste, der sich freuen würde, wenn es wirklich keine Rolle mehr spielen würde ob ich mit einem Mann zusammen bin oder einer Frau. Oder ob jemand sich außerhalb der binären Gender-Rollen einordnet.
Aber bis das der Realität entspricht, nehme ich mir das Recht heraus, darauf hinzuweisen, wenn mir was nicht passt. Wer deshalb einen Sitzkreis veranstalten möchte, um bei lecker Mate-Tee zu feiern, wie super-duper gleich und tolerant wir alle sind, der darf das gerne tun. Ich steh dann draußen und kann mir ein spöttisches Lachen vermutlich nicht verkneifen.

Leseempfehlung aus dem Zaunfink-Blog für alle, die richtig doll Angst haben vor der Homo-Lobby: Antilopen, die Löwen fressen. In elf einfachen Lektionen zum Terror-Opfer

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3 Kommentare

  1. Nach meiner Erfahrung ist es wichtig, im Alltag ganz normal miteinander umzugehen. Homosexualität ist eine sexuelle Orientierung. Nicht mehr und nicht weniger. Ich kann zum Teil nachvollziehen, dass für Heteros nicht immer klar ist, warum es eigene Schwulen- oder Lesbenbars gibt. Die Antwort ist ganz einfach: Um in einem geschützten Umfeld vertraut miteinander umgehen zu können. Zu Zeiten, als es noch keine blauen und gelben Kontaktbörsen gab, war dies vermutlich noch wichtiger als heute. Aber auch in der -nennen wir es Orientierungsphase- 🙂 kann eine solche Location einen geschützten Raum bieten. Sehen wir es doch einmal so: Es gibt auch in der Hetero-Welt spezielle Locations die durchaus nicht dem Alltagsgeschmack der breiten Bevölkerungsschicht entsprechen.
    Leben und leben lassen ist auch hier das Motto.

    • Und da stimme ich dir komplett zu. Mir ist es zum größten Teil egal, was wer mit wem so anstellt.
      Aber problematisch wird es für mich, wenn es zum Beispiel um die rechtliche Gleichstellung geht oder andere politische Themen (wie die Bildungspläne).
      In dem Fall hilft leben und leben lassen nicht wirklich, weil ohne Druck nichts passiert. 🙂

  2. Ich glaube, dass diese neue Welle der Gegenwehr ganz einfach zu erklären ist: Seit es die eingetragene Lebenspartnerschaft gibt gab es über 35 000 „schwule Hochzeiten“, und inzwischen gibt es in fast jeder größeren Stadt einen eigenen CSD. Und langsam wird der Gesellschaft klar, dass die Schwulen, Lesben, Bisexuellen und Transgender längst keine verschwindende Minderheit mehr sind die irgendwo im Untergrund hausen. Sondern es werden augenscheinlich immer mehr ! Immer mehr wagen das Outing und entscheiden sich für ein Leben ohne Lügen. Wie oft haben sich Schwule zum Beispiel mit einer Frau verheiratet, nur um der Familie „keinen Kummer zu machen“ ?!? Noch immer verstellen sich viele. Und es ist noch oft genug traurige Realität, dass ein schwuler Mann auf der Arbeit den Hetero spielen muss um keine Nachteile zu erleiden, und am Wochenende lässt der selbe Mann in der Szene-Disco die Fetzen fliegen bevor er Montags wieder in seine Theater-Realität zurückkehrt. Jugendliche haben immer weniger „Berührungs-Ängste“ mit dem Thema Homosexualität, immerhin sind viele Sänger, Schauspieler oder Prominente ja auch offen schwul und es gibt kaum eine Daily Soap die noch ohne einen Schwulen auskommt 🙂 Die ältere Generation kann über sowas nicht lachen ! Die fühlt sich bedrängt, überfahren und dauer-konfrontiert mit einem Thema das zu ihrer Jugendzeit noch strafbar war ! Außerdem hat man manchmal den Eindruck, dass die meisten Deutschen immer etwas oder jemand brauchen, den sie hassen können ! Die Gesellschaft braucht Feindbilder um ihre ganze Wut über ihre langweiligen und eintönigen Leben irgendwo abladen zu können. Wenn es nicht gegen die Schwulen geht, dann geht es eben gegen die Ausländer, oder gegen irgendwas andres. Man unterschätzt auch oft die Dummheit der Menschen ! Ein Mensch allein ist intelligent, …doch je mehr es werden desto mehr verblödet die Masse ! Bei PEGIDA sind ja nicht nur Radikale und Nazis, sondern auch Bürger, die niemandem irgendwie besonders auffallen würden. Ganz normale Bürger, Frauen, Männer, Jugendliche, treffen sich plötzlich und verwandeln sich in wütend brüllende Idioten die scheinbar nichts mehr toll finden. Und mit ähnlichen Menschen hat es auch die Schwule Community immer wieder zu tun. Diese Menschen haben Angst das ihre „perfekte Welt“ aus total überholten Ansichten und inszenierter Familienperfektion ins Wanken gerät durch eine neue und unkonventionelle Weltansicht der Schwulen und Lesben. Wenn man es mal richtig betrachtet haben Schwule und Lesben nicht nur eine eigene Art von Sexualität. Wir haben eine eigene Kultur ! Wir leben bunt und laut und wollen das Leben genießen ! Und das stößt vielen sehr negativ auf. Interessanterweise sind es größtenteils Frauen die immer und immer wieder zur Hetze gegen Schwule aufstacheln. Wenn man sich als Mutter und als Frau von Schwulen bedroht fühlt, dann hat man entweder gewaltig einen an der Waffel oder kein Selbstbewusstsein oder einfach viel zu viel Freizeit ! Zu guterletzt möchte ich noch auf eine äußerst lustige Ironie hinweisen: Vor ein paar Jahren hat die Bundesregierung eine Studie über Regenbogen-Familien verfasst. Es ging um das Wohl der Kinder. Die Studie besagte jedoch, dass Kinder, die in einer Regenbogen-Familie aufwachsen gleich gut oder sogar besser entwickelt und glücklich wären als in einer „normalen“ Famile. Ich denke wenn die Schwulen was ändern sollten, dann das wir nicht mehr das Wort „Normal“ als Gegenstück zu „Schwul“ verwenden ! Denn die andren sind nicht normaler als wir ! Die sind auch nur „anders“ ! :))

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